Was hat die Biologie mit dem Thema Wohnen zu tun?! – Teil 1

8. Februar 2023

Dieses Thema beschäftigt mich in letzter Zeit besonders, denn die Faszination besteht für mich darin, dass sich viele Themen der Wohn- und Architekturpsychologie mit biologischen Vorgängen in unserem Körper verknüpfen bzw. erklären lassen!

So kann die NEUROBIOLOGIE unser Leben in Innenräumen positiv beeinflussen. Im Durchschnitt verbringen wir fast 90 % unserer Zeit in Innenräumen wie Wohnungen, Büros und öffentlichen Gebäuden. Die physiologischen Aspekte dieser Räume können sich auch auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden auswirken. Was ist damit gemeint: Unsere Sinnesorgane nehmen – bewusst und unbewusst – Umweltreize auf, die im Gehirn verarbeitet werden. Diese beeinflussen unser gesamtes Denken, Fühlen und Handeln. Räume beeinflussen unsere Denk- und Handlungsprozesse

Dabei stellen sich folgende Fragen:

Gibt es Kriterien, die für fast alle Menschen geeignet sind? Und was sind wichtige Faktoren bei der Gestaltung von Räumen, wenn das Gehirn auf äußere Reize oder Einflüsse unterschiedlich reagiert?

Die architektonische Atmosphäre wirkt sich auf unser Verhalten aus. Zum Beispiel rufen Naturbilder – besser noch: Ausblicke in die Natur – positive Emotionen hervor und stellen unsere Konzentrationsfähigkeit wieder her. Gleichzeitig tragen „Naturerfahrungen“ zur Entspannung und Erholung bei.

Aus der EVOLUTIONSBIOLOGIE wissen wir, dass die Ansprüche, die an Behausungen gestellt werden, in vielen Bereichen übereinstimmen. Schon zu Urzeiten haben Menschen Schutz vor Witterung und Raubtieren gesucht. Das Bedürfnis nach einer Behausung steckt in unseren Genen. So wie sich bei den Ur- und Frühmenschen in den afrikanischen Savannen geistige Kapazitäten entwickelten, die die Herstellung von Werkzeugen ermöglichten, entstanden auch das Bedürfnis, Schutzräume zu finden. Ebenso die Fähigkeit, Unterstände selbst herzustellen. Dafür spricht auch, dass Menschen überall auf der Erde, unabhängig von der Lebensweise und Kultur, künstliche schützende Strukturen errichten. Sie bauen „Behausungen“, ähnlich wie Vögel sich Nester bauen. 

Mit der Entwicklung der Landwirtschaft und der Sesshaftigkeit gingen gravierende Veränderungen im Wohnen einher. Während Jäger und Sammler ihre Aufenthaltsorte immer wieder wechselten, wurden nun langfristig genutzte Holz-, Lehm- und Steinhäuser errichtet. Das eröffnete über die Jahrtausende eine Vielzahl neuer Möglichkeiten der Gestaltung – vom Holzhaus bis zum modernen Wohnblock aus Stahl und Beton.

Vielfältiges Wohnen, vom tropischen Regenwald bis ins ewige Eis, überall leben Menschen. Und zwar in großen oder kleinen Behausungen für wenige Personen oder ganze Familien, in Wohnungen für ganze Gruppen mit und ohne Zwischenwände, in Einfamilien- und Mehrfamilienhäusern, in Dörfern, Städten und Megacitys. Und die Menschen gestalten ihre Wohnungen in Abhängigkeit der jeweiligen Kulturen.

Aber welche Ansprüche stellt die menschliche Natur ans Wohnen?
  • Privatheit bzw. Privatsphäre
    Wie wichtig es den Menschen in unserer Gesellschaft ist, die Kontrolle über den Zugang zur eigenen Wohnung zu haben, zeigt der Artikel 13, Absatz 1 des Grundgesetzes: „Die Wohnung ist unverletzlich“ …  Deshalb sollten Wohnungen und Häuser Rückzugsmöglichkeiten und vor allem Privatsphäre bieten.  Man muss eine Tür hinter sich zu machen können! Das scheint so ziemlich in allen Kulturen eine Rolle zu spielen – auch Jäger und Sammler bauen heute ihre Hütten so, dass die Eingänge nicht aufeinander zeigen. Dies gilt auch für Einsehbarkeit von privaten Freibereichen wie Gärten, Terrassen und Balkone. Und wer einmal erlebt hat, dass in die eigene Wohnung eingebrochen wurde, weiß, wie unsicher man sich danach fühlt. 
  • Wasser und Grün
    Verhaltensbiologische Studien zeigen, dass sich Menschen in Stadtvierteln mit öffentlichen Brunnen und Bäumen wohler als in Stein- und Asphaltwüsten fühlen. Auch das Bedürfnis nach Grünpflanzen in der Wohnung oder Ausblicke in die Natur bzw. ins Grüne lassen sich vermutlich so erklären. 

    Bei Pflanzen und Wasser handelt es sich um Überlebensressourcen, die schon für das Überleben unserer Vorfahren existenziell waren. Wenn die Menschen keine Präferenz für Wasser und Grün hätten, hätten sie in der Vergangenheit wohl nicht überlebt.
  • Eine Umgebung, in der man sich zurechtfindet
    Was ebenfalls wichtig zu sein scheint und möglicherweise ein evolutionäres Erbe der Jäger und Sammler ist, ist die „Lesbarkeit“ der unmittelbaren Umwelt. Wer sich verläuft und nicht mehr heimfindet, ist in Gefahr. Es gibt also vermutlich Präferenzen dafür, sich in eher übersichtlichen Landschaften niederzulassen. Deshalb schätzen viele Menschen an Wohnungen einen guten Ausblick. Dazu gehören auch humane Gebäudegrößen, die soziale Kontrolle bieten. Zu wissen, wer im Haus ein- und ausgeht, vermittelt ein Gefühl von Sicherheit; ebenso eine funktionierende Hausgemeinschaft bzw. Nachbarschaft.

  • Soziale Kontakte
    Menschen sind soziale Wesen … sie organisieren sich in Gruppen, es gibt ein starkes Bedürfnis nach sozialen Kontakten, Anteilnahme, Zuwendung, Anerkennung und letztlich nach gesellschaftlicher Zugehörigkeit und Teilhabe. Gerade in den Industriestaaten stellt die soziale Isolierung vieler Menschen vor große Herausforderungen mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit … dies führt zu Depressionen, Burn-Out und eine ständige Ausschüttung von Stresshormonen lässt den Blutdruck steigen und damit auch das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall.

    Dort, wo Menschen auf engem Raum leben, wie in großen Wohnanlagen, finden kaum Begegnungen statt, oder sie bleiben sich fremd. Viele Menschen leben für sich und sind geradezu anonym in der Masse. Dabei gilt: je mehr Menschen sich sehen können, umso höher ist die Wohnzufriedenheit! 

    Die Zufriedenheit der Bewohnenden steigt mit der Anzahl der Begegnungsräumen oder Begegnungsflächen… selbst in Wohnblöcken mit mehr als 3000 Wohneinheiten.

    Informelle Begegnungszonen in Eingangsbereichen oder großzügige Flure mit Sitzgelegenheiten, gemeinsam nutzbare Innenhöfe, Dachterrassen erhöhen die Sozialkontakte deutlich.
  • Ruhe und Erholung
    Eine wichtige und wenig überraschende Funktion von Wohnungen ist, dass die Menschen ungestörten und geschützten Schlaf brauchen, damit sie sich erholen oder entspannen können. Wie wichtig ein ungestörter Schlaf ist, zeigen die gesundheitsschädlichen Folgen von Verkehrslärm und der Stress, den selbst Kirchenglocken auslösen können.

  • Gestaltungsmöglichkeiten – Aneignung und Personalisierung
    Bei Menschen erkennt man eine stark territorial ausgeprägte Wahrnehmung. Damit ist das Bedürfnis nach individuellen Gestaltungsmöglichkeiten gemeint. Eine Personalisierung vollzieht sich über Gestaltungsprozesse wie Dekorieren und Einrichten. Ohne eine emotionale Bindung zur jeweiligen Wohnung und zum Wohnort, kann sich kein „Heimatgefühl“ entwickeln.

    Dieses Bedürfnis wirkt sich allerdings nicht nur auf die Einrichtung von Behausungen aus, sondern auch bei der Gestaltung des Arbeitsplatzes, bei der Wahl der Kleidung oder welches Auto man fahren möchte. Auch ästhetische Aspekte spielen eine große Rolle, und dabei der Einfluss der Kultur. Deshalb halten sich Verhaltensbiologen bei der Beurteilung zurück, welche Rolle die Evolution des Menschen in diesem Zusammenhang gespielt haben könnte.
  • Die Größe des Wohnraums
    Wie groß eine Wohnung sein muss, oder wie klein sie sein darf, damit Menschen sich wohlfühlen, lässt sich mit der Evolution nicht erklären. 120 Quadratmeter Wohnfläche – das ist in den USA ein kleines Haus, in Deutschland ein mittelgroßes, und in China ist es riesig.

FAZIT:

Die Erkenntnisse der Verhaltensbiologie deuten darauf hin, dass Menschen zwar ein natürliches Bedürfnis haben, sich in schützende Räume zurückzuziehen und von Natur aus mit der Fähigkeit ausgestattet sind, solche selbst zu errichten. Wie Wohnraum aber konkret gestaltet werden sollte, lässt sich nicht unmittelbar als evolutionäre Anpassung erklären.

Trotzdem bleiben diese Bedürfnisse essenzielle Teile der Natur des Menschen, die der Wohnungsbau angemessen berücksichtigen sollte – was leider allzu häufig nicht der Fall ist! 

Viele Städte weltweit stehen vor der Herausforderung, Wohnraum für eine schnell wachsende Zahl von Einwohnern zu schaffen: Werden die natürlichen Bedürfnisse der Menschen nicht ausreichend berücksichtigt, müssen die Städte mit mehr unzufriedenen BürgerInnen rechnen – und somit mit zunehmenden sozialen Spannungen!!!

Zum Beispiel wurde die Forschung von Verhaltensbiologen in Wien aufgrund mangelnden Interesses an ihren Ergebnissen eingestellt und ihre Empfehlungen wurden kaum berücksichtigt. Erst in jüngster Zeit hat Wien – auf die Empfehlung der Biologen hin – begonnen, die Stadt zu begrünen. „Bäume sind eben teuer“ … und leider legen viele Architekten heute immer noch Wert darauf, abstrakte Plätze zu gestalten und mit Kunst zu bepflastern als für Wasser und Grün zu sorgen! Doch in Zeiten des Klimawandels erfolgt auch hier ein Umdenken!

Auch die Wohn- und Architekturpsychologie hat viel mehr Aufmerksamkeit verdient!

Sie interessieren sich zwar weniger für die Natur des Menschen … sie untersuchen jedoch die Auswirkungen der gebauten Umwelt auf die Psyche, identifizieren Probleme und erforschen, wie sich die Wohnzufriedenheit verbessern lässt. Damit beleuchten sie Faktoren, die auch mit unserem evolutionären Erbe zusammenhängen, nur von einer anderen Seite her!

So schließt sich für mich als Biologin und Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie der Kreis!

In einem 2. Teil möchte ich gerne die neurophysiologischen Aspekte aufgreifen: „Wie verarbeitet unser Gehirn Farben, Formen, Muster …?“