Gemeinsam statt Einsam… Plädoyer für mehr gemeinschaftliches Wohnen (Teil 1)

21. Februar 2022

Wir befinden uns mitten in einer globalen Einsamkeitskrise, vor der keiner von uns gefeit ist, egal wo auf der Welt. Studien zeigen, dass Einsamkeit schlechter für unsere Gesundheit ist als zu wenig Sport, genauso schädlich wie Alkoholabhängigkeit und doppelt so schädlich wie Übergewicht.

Dabei wird der Begriff Einsamkeit viel weiter gefasst … es geht nicht nur um die Beziehungen zu Freunden, Familie, Arbeitskollegen und Nachbarn, sondern auch um die Beziehungen zum Arbeitgeber, Mitbürgern, Politiker und dem Staat, also auch um das Gefühl, in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht ausgeschlossen zu sein. Einsamkeit ist ein innerer wie auch existenzieller Zustand … persönlich, gesellschaftlich, wirtschaftlich und politisch!

Einsamkeit in seiner gegenwärtigen Form ist beeinflusst durch Globalisierung, Verstädterung, Ungleichheit und Machtungleichheit, größere Mobilität, bahnbrechende Technologien (Stichwort: KI), und zuletzt das Coronavirus.

Es ist eine Einsamkeit, die hinausgeht über das menschliche Bedürfnis, gehört und gesehen zu werden, umsorgt zu werden, frei agieren zu können, freundlich, fair und respektvoll behandelt zu werden.

Wie ist es so weit gekommen? Dazu möchte ich als Biologin das Ganze evolutionsbiologisch betrachten … der Mensch ist, wie auch alle anderen Primaten, ein geselliges Wesen. Um zu funktionieren, sind wir angewiesen auf komplexe Gruppengefüge, von der chemischen Urverbindung zwischen Mutter und Kind über größere Familieneinheiten bis hin zu den gewaltigen Nationalstaaten der Gegenwart. Tatsächlich lässt sich der Aufstieg des Menschen an die Spitze der Nahrungskette unseres Planeten in vielerlei Hinsicht auf unser engagiertes Miteinander zurückführen. Aus diesem Grund wirkt es sich deutlich negativ auf unsere Gesundheit aus, wenn wir nicht miteinander verbunden sind.  

Denn damit wir nicht in einem Zustand verweilen, der unserem Überleben abträglich ist, hat die Evolution unseren Körper mit einer biologischen Reaktion auf das Alleinsein ausgestattet, die uns in einen Alarmzustand versetzt und physiologisch wie auch psychologisch so unangenehm ist, dass wir ihn so schnell wie möglich beenden wollen.

Zum einen ist der einsame Körper tatsächlich ein gestresster Körper: ein Körper, der schnell erschöpft und übermäßig entzündet ist. Insbesondere bei chronischer Einsamkeit, gibt es kaum einen Ausschalter, damit sich der Körper beruhigen und z.B. wieder Viren bekämpfen kann. Das Fatale daran … chronische Entzündungen stehen mit einer ganzen Reihe von Erkrankungen im Zusammenhang, darunter verstopfte Arterien, Herzerkrankungen, Schlaganfall, Depressionen, Arthritis, Alzheimer und Krebs. Ein gesunder Körper sorgt durch verschiedene Mechanismen dafür, dass schädliche Einflüsse bekämpft werden, ob Krankheitserreger oder Krebszellen. D.h. Einsamkeit schädigt unser Immunsystem nicht nur durch einen anhaltenden „Alarmzustand“, sie wirkt auch auf zellulärer und hormoneller Ebene auf uns ein. Studien zeigen, dass Einsamkeit die Funktionsfähigkeit mehrerer endokriner Drüsen beeinträchtigt, die Hormone an den Körper absondern und mit unserer Immunantwort zusammenhängen. …das Blut einsamer Menschen weist einen deutlich erhöhten Noradrenalinspiegel auf. Noradrenalin ist ein Hormon, das in lebensbedrohlichen Situationen die Virenabwehr hemmt. Einsamkeit behindert darüber hinaus die Genesung.

Isolierte ältere Menschen haben eine niedrigere durchschnittliche Lebenserwartung als regelmäßig sozial aktive.

Außerdem zeigte eine Studie, dass Teilnehmer, die an Depressionen litten, mit zehnmal höherer Wahrscheinlichkeit einsam waren als nicht depressive. Selbst kurze Phasen der Isolation, wie wir sie während der Coronaviruspandemie erlebt haben, können sich spürbar auf unsere geistige Gesundheit auswirken … der Effekt kann sich noch Jahre später zeigen. Wir als Einzelpersonen wie auch die Regierungen müssen die möglichen psychischen Langzeitfolgen unserer Zwangsisolierung im Blick behalten. Im Extremfall kann Einsamkeit sogar zum Suizid führen.

Einsamkeit beeinflusst nicht nur unsere Sicht auf die Welt, sondern auch, wie wir sie einordnen. Ärger, Feindseligkeit, eine Tendenz, seine Umwelt als bedrohlich und gleichgültig wahrzunehmen, verminderte Empathie – Einsamkeit erzeugt eine gefährliche Kombination aus Emotionen, die für uns Alle schwerwiegende Konsequenzen haben.

Denn die Einsamkeitskrise spielt sich nicht nur in der Arztpraxis ab, sondern auch an der Wahlurne, und ihre Folgen für die Demokratie sind für jeden, der an eine auf Einheit, Inklusivität und Toleranz basierende Gesellschaft glaubt, zutiefst beunruhigend. Dafür braucht es zwei starke Verbindungen: die Verbindung zwischen Staat und Bürgern und die Verbindung der Bürger untereinander.

Warum werden die Menschen immer einsamer und was kann man dagegen tun … den wenigsten von uns ist es bewusst, dass dieses Thema schon lange vor der Pandemie Einzug in unseren Alltag hielt: Große Wohnkomplexe, in denen sich die Nachbarn nicht mehr kennen und vor allem elementare (Wohn)Bedürfnisse missachtet werden, schwindende Vereinsaktivitäten bis hin zum Leben online. Deshalb beschäftige ich mich im März, im zweiten Teil, welchen Beitrag kann die Wohn- und Architekturpsychologie leisten, um die soziale Interaktion zwischen den Menschen zu fördern.

Buchtipp: Das Zeitalter der Einsamkeit von Noreena Hertz

Teil 2 beschäftigt sich im März zum Thema „Gemeinsam statt Einsam … was kann die Wohn- und Architekturpsychologie zum Gelingen von gemeinschaftlichen Wohnformen beitragen!“