Gemeinsam statt Einsam… was kann die Wohn- und Architekturpsychologie zum Gelingen von gemeinschaftlichen Wohnformen Beitragen? (Teil 2)

10. März 2022

Als Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie kenne ich die Zusammenhänge von Wohnbedürfnissen und baulicher Gestaltung:

Von den vielen Co-Living-Möglichkeiten, die es gibt, möchte ich mich in diesem Blog auf „Cohousing-Projekte“ konzentrieren. Warum, weil es eine geplante Gemeinschaft ist, die aus privaten (möglichst barrierefreien) Wohnungen oder Häusern besteht, die durch umfangreiche Gemeinschaftseinrichtungen ergänzt werden. Dadurch entstehen Unterstützungsmöglichkeiten, die in anderen Wohnformen kaum denkbar sind. Cohousing-Projekte sind gelebte Nachbarschaftsbeziehungen. Ziel dieser Form des Zusammenlebens ist ein besseres Miteinander, eine Gemeinschaft, bei der jeder sich einbringen kann – aber nicht muss! Die Lebensumstände und das Alter sind dabei nicht relevant. Welche Gründe gibt es, in ein Cohousing zu ziehen:

  • Kinder haben mehr Möglichkeiten mit anderen Kindern zusammen zu sein.
  • Gemeinsames Kochen und Essen erleichtert nicht nur die Haushaltsführung, sondern stärkt die Gemeinschaft.
  • Eine Wertegemeinschaft als Basis für Freundschaften.
  • Durch die soziale Interaktion ist ein aktiveres Leben zu erwarten und damit verbunden eine bessere Gesundheit; dies gilt besonders für Ältere.
  • Sicherheit und Geborgenheit entsteht durch Gemeinschaft und durch die Bauweise.
  • Selbstbestimmung beim Bauen und im Zusammenleben.
  • Gemeinsame Anschaffungen sparen Geld.

Durch die soziale Nähe und emotionale Bindungen kann Cohousing eine Hilfestellung auch in Lebenskrisen sein, wie etwa bei Krankheit oder andere Schicksalsschläge. Die drohende Einsamkeit ist gerade für viele ältere Menschen eine große Herausforderung. Je älter eine Person wird, desto mehr Zeit verbringt sie zuhause. Vor allem, wenn Menschen über 80 Jahre alt sind, schrumpfen die sozialen Kontakte automatisch. So erkennen auch Kommunen zunehmend, dass eine soziale Vernetzung im Stadtteil, im Dorf und vor allem in der Nachbarschaft gerade älteren Menschen helfen kann, trotz gesundheitlicher Einschränkungen ihren Alltag zu meistern.

Viele Häuser bzw. die ganze Bauindustrie sind für antiquierte Lebensentwürfe gedacht, die aber heute viel seltener gelebt werden. Mehr als die Hälfte der Berliner ist heute nicht mehr in Familienstrukturen organisiert. Aber wo finden sie in dieser Stadt ein Haus, in das sieben Freundinnen einziehen können oder acht Achtzigjährige, die nicht ins Altenheim wollen? Wo findet man eine Struktur, in dem zwei alleinerziehende Frauen und ein alleinerziehender Mann gemeinsam mit ihren Kindern wohnen können?

Welche Wohnbedürfnisse stehen bei Cohousing-Projekten im Vordergrund:

Soziale Interaktion … was wirkt interaktionsfördernd?

Attraktive Gemeinschaftsflächen und -räume mit unterschiedlichen Angeboten, Aneignungs- und Regulationsmöglichkeiten. D.h. die Gemeinschaftsflächen sollten einen gewissen „Aufforderungscharakter“ besitzen und so die kommunikative Mitte einer Gemeinschaft sein; so dass auch zufällige Begegnungen möglich sind. Die Ausstattung und „Möblierung“ sollte attraktiv gestaltet werden, mit unterschiedlichen Treff- und Sitzmöglichkeiten. Idealerweise mit großen Glasflächen ausgestattet, die einen Ausblick in die Natur bieten. Wichtig für die Erweiterung der privaten (begrenzten) Wohnflächen sind ebenfalls Gemeinschaftsterrassen bzw. -Gärten, die sowohl Gemeinschaft ermöglichen als auch Rückzugsmöglichkeiten in Form von „Nischen“. Für die Ausgestaltung gilt dabei: „Sehen, ohne gesehen zu werden“. Die Schwierigkeit bei Gemeinschaftsräumen ist das Verhältnis von Funktionalität und ansprechender Einrichtung: Multifunktionale Gemeinschaftsräume wirken oft nicht sehr einladend, dagegen sind gemütlich eingerichtete Räume mit Sofas nicht mehr multifunktional.

Verschiedene Angebote für unterschiedliche Interessen: Hobbyräume, Werkstätten, Nutzungsmischung (Wohnen & Gewerbe, Shared Offices), Carsharing uvm. Durch die Mitbestimmung der Bewohnenden entsteht ein hoher Identifikationsgrad, und das wirkt sich wiederum positiv auf die soziale Interaktion aus. Durch entsprechende Zonierung und Übergänge erhält man eine Trennung von halbprivaten und halböffentlichen Bereichen. Wichtig dabei: Gemeinschaftsbereiche grenzen nicht direkt an private Wohnbereiche.

Welche räumlichen Faktoren bieten Erholung und schützen vor Stressbelastung?

Allen voran (und dies gilt für sämtliche „Wohnformen“) sind dies Ausblicke in die Natur und private Freiflächen wie Balkone und Terrassen. Der Blick auf Pflanzen am Balkon bzw. entsprechend naturnah gestaltete Freiflächen wirkt sich positiv auf die Erholung aus und reduziert die Stressbelastung. Dabei gilt Exponiertheit auf Balkone oder Terrassen zu vermeiden … wenn die Privatheit beeinträchtigt ist, reduziert sich der Erholungsfaktor. Dazu kommt die Vermeidung von Lärmbelastung: Nicht nur beim gemeinschaftlichen Wohnen sollte auf ausreichend Schallschutz geachtet werden, denn dies erhöht auch den Erholungsfaktor.

Zusammenfassend gilt …

Gemeinschaftliches funktioniert dann, wenn Privatheit funktioniert!!!

Ein sehr passender Film zum Thema:

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