Warum ich nicht in einem Einfamilienhaus leben möchte

3. August 2022

Dieser – etwas provokante Titel – erschien als Essay von Stefan Sommer am 7.7.2022 in der Süddeutschen Zeitung. Der Autor führt mehrere Gründe an, weshalb er dem Wunsch nach dem eigenen Haus abschwört. Dazu gehört auch, dass man sich in vielen Regionen des Landes als Durchschnittsverdiener überhaupt kein Haus mehr leisten kann.

Außerdem verfestigt das Einfamilienhaus konservative Vorstellungen von Familie und Geschlechterrollen aus früheren Zeiten. Es weist eine desaströse Klimabilanz auf und verschärft die Wohnungskrise in deutschen Städten.

In deutschen Ballungszentren fehlen etwa zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Dieser Mangel an Wohnraum hat auch damit zu tun, dass in der Vergangenheit zu oft Einfamilienhäuser statt Mehrfamilienhäuser gebaut wurden. Mittlerweile stehen sechzehn Millionen Einfamilienhäuser auf deutschem Boden. 100.000 kommen jährlich dazu.

31 Prozent aller deutschen Haushalte wohnen laut Statistischem Bundesamt in einem Einfamilienhaus – die Häuser nehmen aber 41 Prozent der bebauten Fläche in Deutschland ein. Umgekehrt verhält es sich bei Mehrfamilienhäusern: sie nehmen 33 Prozent der bebaubaren Fläche ein, bieten aber Platz für 42 Prozent der deutschen Haushalte.

Wer also im Einfamilienhaus lebt, verbraucht überproportional mehr Fläche als jemand, der in einem Mehrfamilienhaus lebt. Fair ist das nicht. Die Wohnungsnot ist allerdings nicht das einzige Problem. „Die Entscheidung für das eigene Haus im Speckgürtel führt dazu, dass Frauen wieder die ganze „Care-Arbeit“ leisten, während ihre Männer sich im Beruf verausgaben, um durch Überstunden und Boni das nötige Geld für Überwachungskameras und Whirlpool aufzutreiben“. Die Rahmenbedingungen, die wir in unserer Umgebung vorfinden, beeinflussen massiv unser Handeln.

„Gegen das Einfamilienhaus sei der CO2-Fußabdruck von Inlandsflügen ein Witz“, sagt der Klimaforscher Gernot Wagner. Denn das Einfamilienhaus ist die klimafeindlichste, weil ineffizienteste Wohnform. In einem Einfamilienhaus im Umland produziere man zwei bis drei Mal so viele CO2-Emissionen wie in einem Mehrfamilienhaus in der Stadt. Der Klimawandel ist unser größtes Problem und Einfamilienhäuser sind Teil des Problems. Weil sie Wagner zufolge zu viel Platz und zu viel Energie verbrauchten, aber weil durch große Häuser Flächen versiegelt und Landstriche zersiedelt würden. Versiegeln heißt: Einfamilienhäuser im Grünen werden auch auf Flächen gebaut, die im Fall von starkem Niederschlag nötig wären, um das Regenwasser im Boden aufzunehmen. Zersiedeln heißt auch: Neubaugebiete müssen mit Straßen an das Verkehrsnetz angebunden werden. Autoabgase und Bebauung setzen ökologisch wertvollen Flächen zu. Und das beschleunigt wiederum das Artensterben. Auch deshalb fordert Wagner eine radikale Maßnahme: „Ein Verbot von neuen Einfamilienhäusern wäre für ihn an der Zeit … diese Art zu wohnen ist für den Planeten nicht verträglich!“

Also ein Baustopp? Auf kommunaler Ebene deutet sich ein Wandel längst an: in Berlin ist in manchen Innenstadtgebieten nur noch Geschosswohnbau erlaubt. In ganz Deutschland ist ein deutlicher Rückgang von Baugenehmigungen für Einfamilienhäuser zu verzeichnen. Die Zahl der Zusagen sank 2021 um 26,2 Prozent. Bei Mehrfamilienhäusern stieg sie dagegen um 12,5 Prozent.

Wer heute den Bau eines Einfamilienhauses beschließt, überlässt die Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme anderen. Dieser Wandel sollte durch neue Wohnmodelle unterstützt werden:

Durch Mehrgenerationenhäuser, in denen junge Familien mit Rentner zusammenleben, oder Cohousing-Projekte, die Gemeinschaftsräume und Gärten teilen.

Es braucht lebenswerte Entwürfe dafür, wie sich der Platz in Städten besser nutzen lässt und sich die Bewohner trotzdem wohlfühlen.

Seit den Zeiten des Wirtschaftswunders sollte das EFH auch ein Investment für die Kinder sein, eine finanzielle Absicherung, die ihnen später ein gutes Leben ermöglicht. Heute scheint es umgekehrt zu sein: „Wer möchte, dass seine Kinder und Enkelkinder später in einer gerechten und klimafreundlichen Welt leben können, sollte auf sein neues Traumhaus im Grünen verzichten“.

Für mich als Expertin für Wohn- und Architekturpsychologie sprechen außerdem noch folgende Gründe gegen ein Einfamilienhaus:

  • Ein selbstbestimmtes und aktives Leben bis ins hohe Alter ist meistens in einem „Einfamilienhaus im Grünen“ nicht möglich. Es fehlen die entsprechenden Verkehrsanbindungen und Infrastruktur („ohne Auto geht nix“). Dies sind wichtige Aspekte, für eine Teilhabe am kulturellen und gesellschaftlichen Leben. Als älterer Mensch verbringt man bis zu 90 % seiner Zeit in seinem häuslichen Umfeld. Die Teilnahme am sozialen Leben ist unerlässlich für geistige Anregungen, Freude, Anerkennung und Selbstwirksamkeit. Ein generationen- und sozial durchmischtes Wohnumfeld mit guter Infrastruktur bietet da viel bessere Voraussetzungen.
  • Außerdem steigen die Belastungen für Renovierungen und Energiekosten bei älteren Häusern überproportional. Dazu kommen noch die laufenden „Pflege- und Unterhaltsaufwendungen“ wie Gartenarbeit, Reinigungsarbeiten, Schneeräumen uvm. Der „Erholungsfaktor“ in einem Einfamilienhaus nimmt mit steigendem Lebensalter stetig ab, denn eigentlich wächst da der Wunsch nach einem sorgenfreien Leben mit „wenig Kümmern“!
  • Gemeinsam statt Einsam … Da der Mensch ein soziales Wesen ist, suchen wir die Gemeinschaft. Dies gilt nicht nur für ältere Menschen, bei denen die Einsamkeit und soziale Isolierung besonders stark zunimmt, sondern auch für junge Menschen (Kinder, Jugendliche und junge Familien). Ein gut funktionierendes Nachbarschaftsgefüge bietet Unterstützungsmöglichkeiten für Jung und Alt … ebenso in allen Lebensphasen.
  • Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Für eine gesunde psychische Entwicklung reicht das „Kleinfamiliensystem“ nicht aus. Besser als der eigene Garten sind vor allem für ältere Kinder Spielstraßen, Innenhöfe und Aktionsräume in allen Zonen der Wohnumgebung.

Mein Fazit:

Ein Einfamilienhaus kann für manche Lebensphasen ein „Wohntraum“ sein. Besser wäre es, so zu bauen, dass einerseits „nutzungsneutrale“ Grundrisse für verschiedene Lebensphasen entstehen. Und die Grundrisse so angepasst werden können, dass vor allem die „Wohnbedürfnisse“ auch in allen Lebenslagen erfüllt werden können.

Das Motto sollte dabei immer sein:

Es sind nicht die Häuser, die ich liebe …
sondern das Leben, das ich in ihnen lebe!  
Coco Chanel